Böhm-Chronik



Auszügler

Beitrag von Klaus E. Kunze




"Wenn ein Bauer, Gärtner oder Häusler zu alt, zu krank, zu schwach oder sonst unfähig geworden war, seine Hofstelle zu führen, konnte er Auszügler werden. Er übergab dann in vertraglicher Regelung den Stellenbesitz einem der Söhne oder Schwiegersöhne und ging in den 'Auszug'; das heißt: er bezog je nach der Größe des Besitztums eine Auszugskammer, eine Auszugsstube, eine Auszugswohnung oder gar ein Auszugshäusel und genoß fortan außer dem Wohnrecht auf Lebenszeit eine Reihe anderer Nutzungsrechte sowie das Recht auf kostenlose Überlassung bestimmter Lebensmittelmengen.

Das unkündbare Auszugsrecht war zwar eine feste hypothekarische Einschränkung des Eigentums- und Verfügungsrechts, da es unwiderruflich als bleibende Last am Besitz der Hofstelle haftete.

Aber die jungen Leute [welche die Hofstelle übernahmen] wußten, sie würden dereinst ebenso verfahren wie jetzt ihre Eltern; und auch für sie würde künftig der Auszug die einzige Möglichkeit sein, eine ausreichende, hinlänglich sichere Altersvorsorge zu treffen. Eine staatlich geregelte Renten- und Krankenversicherung stand ja in den Zeiten vor Bismarcks Sozialgesetzgebung noch in den Sternen!

...Fast überall in unserer Heimat galt das Jüngstenrecht; nicht der älteste, sondern der jüngste Sohn übernahm 'den väterlichen Besitz, erhielt ihn aber nicht zum vollen Wert angerechnet, sondern er genoß bei der Erbteilung den Vorzug vor Brüdern und Schwestern, deren Erbteil infolgedessen sehr viel kleiner ausfiel' [Johannes Ziekursch, Hundert Jahre schlesischer Agrargeschichte, Breslau 1915, S. 81].

Das Jüngstenrecht mag durchaus sinnvoll gewesen sein. Denn gewöhnlich war ein Stelleninhaber noch tatkräftig genug, wenn seine ältesten Kinder heirateten, und konnte mit dem Auszug warten, bis der jüngste Sohn zum Manne gereift war. Das reformfreudige 19. Jahrhundert hat das Jüngstenrecht wegen häufig auftretender Nachteile [vor allem wegen der Gefahr hoher Verschuldung] dennoch allmählich beseitigt; 'an seine Stelle trat in einem großen Teil Deutschschlesiens die Überlassung der geschlossenen Hofstelle in den letzten Lebensjahren der Eltern, die auf den Auszug gingen, an eines der Kinder, nicht immer das jüngste, zu einem unter dem wahren Wert stark zurückbleibenden Preise durch einen sogenannten kindlichen Kauf' [Ziekursch a.a.O., S. 297]."

Quelle:
Klaus E. Kunze, Das schlesische Dorf Klein Ellguth "Oelßnischen Creyses", Köln 2000, ISBN 3-933334-09-8, Seite 80f

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